„Ich habe die Pferde nun mal im Blut!“
Rennsport-Legende Peter Kwiet wird 80 Jahre alt. Er verkörpert den Mariendorfer Sulkysport wie kein anderer: Am 6. Januar wird der 4.360-malige Sieger Peter Kwiet 80 Jahre alt. Einen Bericht über die außergewöhnliche Karriere des Berliner Trabertrainers, der schon 1955 sein erstes Rennen gewann.
Wenn man sich mit Peter Kwiet unterhält, dann ist es so, als würde man ein spannendes Buch über den Trabrennsport durchblättern. Denn keiner verkörpert die Geschichte des Berliner Sulkysports so wie er. Und keiner weiß so viele Anekdoten zu erzählen und bringt die Sachen derart schnell auf den Punkt. Am Montag wird der am 6. Januar 1940 in Karlshorst geborene Trainer 80 Jahre alt. Eine Tatsache, die man eigentlich kaum glauben kann – denn auch heute noch begegnet einem jenes verschmitzte Lächeln in seinem Gesicht, das „Kwiete“, wie ihn alle Freunde, Fans und Kollegen seit jeher nennen, schon als Teenager zur Schau trug und das auf historischen Fotos zu bewundern ist. Der Trabrennfahrer scheint beinahe so etwas wie ein Fels in der Brandung zu sein. Die Jahrzehnte vergingen und die eine oder andere Falte kam sicherlich hinzu – aber seine jugendliche Energie hat sich der Jubilar bis heute bewahrt.
Am 1. Oktober 1954 begann der damals 14-jährige Steppke seine Ausbildung auf der Derby-Bahn in Mariendorf. Seitdem hat Peter Kwiet, wenn man alle im Training und im Rennen zurückgelegten Kilometer zusammenrechnet, im Sulky seiner Pferde wohl mehr als 400 Mal die Erde umkreist. „Das ist irgendwie schon ein bisschen verrückt", schmunzelt der Altmeister. „Wir Trabrennsportler fahren unser ganzes Leben lang immer nur im Kreis herum." Seinen ersten offiziellen Sieg – zuvor hatte er schon ein nichtöffentliches Rennen gewonnen – feierte Kwiete 1955 mit der Stute Plurette und wie sehr seine Karriere das Geschehen auf den Berliner Rennpisten widerspiegelt, wird einem zudem anhand anderer Fakten bewusst.
Denn im gleichen Jahr – also 1955 – ging der im Westen Berlins beheimatete Ruhlebener Rennverein in den Konkurs und die dortige Bahn schloss für immer ihre Pforten. Aber wie könnte es wohl auch anders sein: Es war Peter Kwiet, der am allerletzten Veranstaltungstag als erst 15-jähriger Heranwachsender allen Gegnern zeigte, wo der Hammer an der Stallwand hängt, und das Hauptrennen gewann. Wenn man ihn auf dieses Datum anspricht, kommentiert er es in seiner urtrockenen humorvollen Art. „Ich kann mich noch gut daran erinnern. Im Feiern waren die Ruhlebener Pleite-Funktionäre ganz groß und bei der Ehrung ließen sie mich gewaltig hochleben. Aber den gewonnen Geldpreis haben die Besitzer meines Siegpferdes nie zu Gesicht bekommen.“
Ein Jahr später folgte ein erneuter spektakulärer Treffer: der Triumph im „Großen Preis von Mariendorf“, einem Zuchtrennen. Dass es im Sulky des Hengstes Haddy so toll für ihn ausging, hatte der vor Aufregung beinahe schlotternde Teenager vor 30.000 Zuschauern einem seiner Konkurrenten zu verdanken – dem unvergessenen Gerhard Krüger. Denn „Kwiete“ war in der über die Steherdistanz ausgetragenen Prüfung ein fataler Irrtum unterlaufen. „Ich war unendlich nervös und hatte mich schlichtweg vertan. Als wir auf das Ziel zuschossen dachte ich, es geht noch eine Runde weiter“, schildert Kwiet das damalige Geschehen. Doch der im Pulk nicht weit von ihm entfernt liegende Gerhard Krüger hatte diese Fehleinschätzung bemerkt und Mitleid mit seinem jungen Kollegen. „Worauf wartest Du denn noch – fahr endlich los!“, rief Krüger herüber. Kwiet wurde wachgerüttelt und gewann das Rennen nach Zielfoto.
Der wichtigste Erfolg seiner bisher 4.360 Fahrer- und 5.745 Trainersiege umfassenden Karriere fiel damit verglichen deutlicher aus. Am 8. September 1968 gewann Peter Kwiet mit dem Hengst Manzanares aus dem Besitz der Berliner Familie Zimmermann das Deutsche Traber-Derby. Eine Länge Vorsprung reichte für den größten Triumph seiner Laufbahn und Kwiet verwies neben dem mit der Stute Miami II zweitplatzierten Gerhard Krüger damals noch weitere Sulky-Stars wie Eddy Freundt und Richard Haselbeck auf die Ränge. „Mit diesen Namen verbinde ich nicht nur Erinnerungen an bedeutende Rennen, sondern auch Freundschaften“, sagt der Sportler. Insbesondere „Hänschen“ Frömming, mit dem er gemeinsam viele Reisen zu den Rennbahnen in den USA und in Italien unternahm, war ihm sehr nahe. „Das waren wirklich großartige Erlebnisse, die ich nie vergessen werde“, sagt der zwölfmalige Mariendorfer Champion begeistert und natürlich ist ihm auch sein Start mit dem Hengst Asterabad in Paris in besonderer Erinnerung geblieben. „Ich war damals mächtig stolz, denn unser Foto war auf der ersten Seite des Fachmagazins Paris Turf abgedruckt.“
Die bedeutendste Würdigung erhielt Kwiet aber nicht wegen seiner sportlichen Verdienste. 2009 wurde der Altmeister im Schloss Bellevue vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler empfangen und für sein gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet. Denn Kwiet hat sich stets auch für caritative Projekte eingesetzt. Mit seinem Lieblingspferd, dem Wallach Glückauf, verdiente der Sulkyfahrer bei den gemeinsamen Starts und über zusätzliche Spenden rund 40.000 Euro. Dieses Geld floss bis auf den letzten Cent auf das Konto der Tempelhofer Kinderklinik St. Joseph und Kwiet ist sich sicher: „Glückauf muss gespürt haben, für welch guten Zweck er lief. Er hat in seinen Rennen immer alles gegeben und seine Sache grandios gemacht!“
Doch es gab in Kwiets Karriere nicht nur schöne Tage. 1974 lag er in einem Rennen einsam in Führung, als sein Pferd urplötzlich ins Stolpern geriet. Er flog in hohem Bogen durch die Luft und landete höchst unsanft auf der betonharten Piste. Beide Arme waren gebrochen. Doch es gab Trost: Nach seinem Unfall brachte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz höchstpersönlich Blumen ans Krankenbett. Zu Politikern und Prominenten hatte „Kwiete“ ohnehin immer einen besonderen Draht. Curd Jürgens, Romy Schneider, Liselotte Pulver, Hansi Kraus, Gustav Knuth, „Kojak“ Telly Savallas oder Gina Lollobrigida: Der stets mit einem unglaublichen Talent für wirksame Öffentlichkeitsarbeit gesegnete Kwiet hat sie alle nach Mariendorf geholt, um seine geliebte Sportart bestmöglich zu verkaufen.
Das Schicksal der Derby-Piste liegt ihm sowieso immer am Herzen. Als die Mariendorfer Bahn nach der Jahrtausendwende wirtschaftlich ins Trudeln geriet und nach dem Willen der damals Verantwortlichen aufgegeben werden sollte, war es Kwiet, der gemeinsam mit dem Berliner Unternehmer Ulrich Mommert maßgeblich den Widerstand organisierte und für den Erhalt gekämpft hat. Er ist seitdem Vizepräsident des Rennvereins – obwohl er viel lieber im Sulky als am Konferenztisch sitzt. Mit Ulrich Mommert verbindet ihn ohnehin seit langer Zeit eine berufliche und zugleich freundschaftliche Partnerschaft. „Es gibt immer mal ein Auf und Ab – aber 25 gemeinsame Jahre haben uns zusammengeschweißt und ein großes Lob muss ich vor allem Ulrich Mommerts Gattin Karin zollen. Auch wenn es mit den Pferden mal nicht so gut lief, hat sie stets zu mir gehalten“, sagt Kwiet voller Respekt.
Die bedeutendste Person in seinem Leben ist aber immer seine Frau Renate für ihn gewesen. „Ich habe sie 1956 kennengelernt – natürlich auf der Bahn“, erzählt der Altmeister. „Renate wollte damals in Mariendorf an einem nichtöffentlichen Rennen teilnehmen und weil sie eine stattliche Körpergröße hatte, wären die meisten Frauendresse zu klein für sie gewesen. Geh doch zu Kwiete, hatte man ihr gesagt – dessen Dress könnte von der Statur her passen.“ Der Hinweis war eine Schicksalsfügung, denn wenige Monate später wurde aus beiden ein Paar. Dass sich Peter Kwiet 2019 für immer von seiner Renate verabschieden musste, war ein überaus harter Schlag. „Ich war 62 Jahre mit einem großartigen Menschen verheiratet. Alle meine Erfolge habe ich Renate zu verdanken – ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen. Sie hat sich immer um alles mitgekümmert und mich voll und ganz unterstützt. Zwischen uns hat kein Blatt Papier gepasst und sie war überall beliebt. Ich glaube, es gibt niemanden, der Renate jemals irgendetwas Böses wollte.“
Natürlich hatte sich seine verstorbene Frau auch dem täglichen Rhythmus voll und ganz angepasst. Denn im Hause Kwiet klingelt der Wecker schon seit Jahrzehnten täglich morgens um 4 Uhr und das wird auch zukünftig so bleiben. Dann heißt es: Raus aus den Federn und ab in den Stall! Auf dem nordwestlich von Berlin gelegenen Gestüt Eichstädt der Familie Mommert lässt es „Kwiete“ mittlerweile zwar etwas ruhiger angehen, denn dort führt Thomas Holtermann bei den Schnellfahrten die Regie und der Altmeister konzentriert sich mehr auf die fachgerechte Betreuung der edlen Vierbeiner. Doch ansonsten hat sich nichts verändert und es gibt keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln, wenn Peter Kwiet voller Überzeugung sagt: „Ich habe die Pferde nun mal im Blut und wenn sie mich in der Morgendämmerung mit einem fröhlichen Wiehern begrüßen, dann weiß ich, wofür sich die viele Arbeit lohnt!"